Funktionsdiagnostik und Funktionstherapie
Cranio-mandibuläre Dysfunktion und ihre Behandlung
Das menschliche Kauorgan besteht neben den Zähnen aus einem äußerst komplexen System aus Knochen, Sehnen, Gelenken und Muskeln sowie einer enormen Vielfalt an Gefäßen und Nerven.
Die Zähne sind im Knochen durch eine Zementschicht, Fasern und Bänder mit dem Knochen verbunden. Der gesamte Zahnhalteapparat ist von einer gut durchbluteten Schleimhaut überzogen. Der Oberkiefer ist fest mit dem Schädel verknöchert. Der Unterkiefer dagegen hat keine feste Verbindung zum Gesichtsschädel. Schließlich stellt dieser den beweglichen Teil des Gesichtes dar. Neben dem Ober- und Unterkiefer spielt jedoch auch der seitliche Anteil des Schädels (Temporalknochen direkt vor dem Gehörgang) eine wesentliche Rolle für das Funktionieren des menschlichen Kauorgans.
Funktionsweise des menschlichen Kauorgans
Sehnen und Bänder sorgen dafür, dass die Bewegung des Unterkiefers in gewissen Bahnen abläuft. Gelenke werden gestrafft und Muskeln sind mit dem Knochen verbunden. Die an der Bewegung des Unterkiefers beteiligten Muskeln verhelfen durch Zusammenziehen und Erschlaffen zu einer Bewegung und Lageveränderung des Unterkiefers in Bezug zum Gesichtsschädel. So spielen die vier großen Kaumuskeln jeder Gesichtshälfte eine ganz entscheidende Rolle für die Unterkieferbewegung. Hinzu kommen eine Vielzahl von Muskeln im Bereich des Mundbodens (Mundbodenmuskulatur) und des Gesichtes (Mimische Muskulatur). Diese sind bei den komplexen Bewegungsabläufen (z.B. Sprechen, Gähnen, Kauen und Schlucken) des Unterkiefers ebenfalls beteiligt.
Das rechte und linke Kiefergelenk sorgen dafür, dass sich zwei separate Knochen (Unterkieferknochen und Schädelbasis) harmonisch zueinander bewegen können. Dabei umschließt eine Gelenkkapsel, ähnlich dem Kniegelenk oder Ellenbogen, fast das gesamte Gelenk. Sie sorgt dafür, dass Bewegungen nur in einem bestimmten Rahmen ablaufen können. Hinzu kommt eine knorpelige nierenförmige Scheibe (Discus), die zwischen dem Gelenkkopf (Condylus) des Unterkiefers und der Gelenkpfanne (Fossa) des Schädelknochens liegt.
Unser Kiefergelenk – immer in Bewegung
Ein besonderes Merkmal, welches das Kiefergelenk einzigartig im menschlichen Körper macht, ist dessen Bewegungsmöglichkeit. Es ermöglicht nämlich nicht nur eine reine Rotation des Gelenkkopfes innerhalb der Gelenkpfanne, sondern auch eine zusätzliche Gleitbewegung. Bei gesunden Kiefergelenken ohne Funktionsstörungen befindet sich der Unterkiefer in Ruhe in einer so genannten Ruhe-Schwebe-Lage. Das heißt, der Unterkiefer hängt bei entspannter Muskulatur so, dass die Zähne etwa 3 – 5 mm Abstand zur Oberkieferbezahnung haben. Der Gelenkkopf liegt dabei in der Vertiefung der Gelenkscheibe, die sich wiederrum fast zentral in der Gelenkpfanne befindet.
Beim Öffnen des Mundes setzt eine Drehung des Gelenkkopfes ein. Bei weiterem Öffnen erweitert sie sich nach vorn um eine zusätzliche Gleitbewegung mitsamt der Gelenkscheibe. Beim Schließen des Mundes läuft diese Bewegung in umgekehrter Reihenfolge ab: Die Gelenkscheibe rutscht dabei in die Gelenkpfanne zurück und der Gelenkkopf rotiert wieder in die Ausgangsstellung.
Diese Bewegungsabläufe funktionieren auf beiden Seiten harmonisch zueinander. Rotations- und Gleitbewegung verschmelzen miteinander. Reibe‑, Knack- oder Knirschgeräusche sind nicht feststellbar. Sämtliche Bewegungen verlaufen schmerzfrei und ohne Bewegungseinschränkungen sowohl beim reinen Öffnen und Schließen, als auch bei Seitwärtsbewegungen. Die Mundöffnung ist durchschnittlich 4,5 cm bis 5,5 cm möglich.
Erkrankungen der Kiefergelenke
Die Kiefergelenke können jedoch, wie andere Gelenke des Körpers auch, durch bakterielle Infektionen erkranken oder sich durch Einflüsse aus dem rheumatischen Formenkreis verändern. Dies kann zum Entstehen einer Arthritis oder einer Arthrose führen.
Eine andere weitaus häufigere Ursache für Beschwerden stellen funktionelle Erkrankungen dar. Ursachen für die sogenannte „CMD“ (cranio-mandibuläre-Dysfunktion) können Fehlstellungen der Zähne, zu hohe Füllungen oder unphysiologisch gestalteter oder abgenutzter Zahnersatz sein. Auch das Abbauen von Stress erfolgt oftmals über die Zähne – nicht umsonst heißt es auch im Volksmund, dass man sich „durchbeißen“ muss. Diese Belastung der Zähne liegt bei vielen Menschen in ihrem Ausmaß weit über dem normalen Kaudruck, für den Knochen, Gelenke und Zähne ausgelegt sind. Das Zähneknirschen findet zudem oft unbewusst statt, z.B. nachts oder unter starker Konzentration.
Bemerkenswert ist die Feststellung, dass die Ober- und Unterkieferzähne innerhalb von 24 Stunden nur etwa 10 Minuten direkten Kontakt zueinander haben sollten!
Weiterhin ist auch ein Zusammenhang von Kiefergelenksbeschwerden mit Fehlstellungen des gesamten Skelettsystems, besonders der Halswirbelsäule oder verspannter Muskulatur aus dem Nackenbereich bekannt.
Die Therapie
Da eine Kiefergelenkserkrankung einen großen Einfluss auf das tägliche Befinden, die Nahrungsaufnahme und Kommunikation mit Mitmenschen hat und die Beschwerden von allein nicht rückläufig sind, ist eine Therapie unbedingt anzuraten.
Die Therapiemaßnahme der Wahl besteht, je nach Schweregrad der Erkrankung, in der Regel aus einer Kurzdiagnostik und folgender Sofortschiene. Diese verhindert einen direkten Kontakt der Zähne zueinander und soll zu einer Entspannung der Muskulatur führen. Akute Beschwerden sind damit in den meisten Fällen bald rückläufig.
Anschließend sollte die reguläre Diagnostik des bestehenden Beschwerdebildes erfolgen. Denn dieses lässt sich nun wesentlich genauer ergründen, als es in der akuten Phase möglich gewesen wäre. Ziel dieser Untersuchung ist die Anfertigung einer Schiene mit adjustierter Oberfläche. Das heißt, es wird eine Schiene hergestellt, die optimal an das bestehende Krankheitsbild angepasst ist und zu einer Verbesserung des Zustandes führen soll.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es sich bei den Kiefergelenkserkrankungen um ein anerkanntes Krankheitsbild handelt,
- welches durch vielfältigste Ursachen hervorgerufen werden kann,
- dessen möglichst genaue Diagnostik sehr wichtig ist,
- initial durch Schienen therapiert werden kann und
- u.U. einer Sanierung oder Zahnersatz-Neuanfertigung bedarf, um eine langfristige Verbesserung zu erzielen.